Mit Anfang 30 entscheidet sich Annika Kunter dazu, in das Bestattungsunternehmen ihres Vater einzusteigen. Vorher hat sie als Konzeptdesignerin in einer Agentur gearbeitet. Köln, Millionenstadt, das heitere Leben. Dann zurück aufs Land. Rietberg heißt die Stadt im Herzen Ostwestfalens, Durchschnittsalter: Überwiegend grauhaarig. Ein Gespräch über den Tod und die Zukunft.
Annika Kunter: Mein Job als Designerin hat mir viel Freude bereitet, ich war glücklich in meinem Beruf. Aber ich habe mir immer gesagt, wenn ich irgendwann mal in der Agentur aufhöre, gucke ich mir den Betrieb meines Vaters an. Ich finde man muss es mal gemacht haben, bevor man es ausschließt. Und jetzt bin ich seit 3 Jahren Teil des Teams. Das Schöne ist, dass ich mich auch als Bestatterin weiterhin kreativ ausleben kann, sei es bei der Planung der Trauerfeier, der Pflege unserer Website, oder auch als Fotografin.
Ich bin für die Hinterbliebenen da und nehme ihnen alles Mögliche ab, damit sie in Ruhe Trauern können. Dabei merke ich oft, wie dankbar die Menschen sind, wenn einfach nur jemand da ist, der ihnen den Rücken freihält, der nicht so aktiv in die Trauer involviert ist und der vor allem den organisatorischen Überblick hat. Ich kann zwar niemanden zurückbringen, aber ich kann es nicht schlimmer machen. Das Schlimmste ist passiert und ab dann soll es langsam wieder bergauf gehen. Die Begegnungen mit dem Bestatter müssen auch kein negatives Event werden, sondern man tritt einem positiven Menschen gegenüber in dieser schwierigen Situation. Das ist meine Motivation. Außerdem interessiert mich sehr, wie sich Beerdigungen zukünftig verändern. Man wendet sich immer mehr von der Kirche ab. Auch wenn wir hier auf dem Land noch viele christliche Beerdigungen haben, gibt es trotzdem total viele Möglichkeiten, wie die Trauerfeier aussehen soll. So wie man freie Trauungen gestalten kann, geht das auch mit freien Beerdigungen.
In Deutschland gibt es die Bestattungspflicht. Nach dem Tod einer Person ist dafür zu sorgen, dass der Körper ordnungsgemäß bestattet wird, sprich Erd-, Feuer- oder Seebestattung. Wir helfen bei den ersten Schritten und überlegen gemeinsam mit der Familie, wie die Beerdigung aussehen soll – soll die Person in einem Sarg unter die Erde, oder lieber in einer Urne? Wie soll der Sarg oder die Urne aussehen? Dann geht es weiter mit der Überlegung, ob und wie von der verstorbenen Person Abschied genommen wird. Das geht sowohl Zuhause als auch in Abschiedsräumen. Ein wichtiger Teil unserer Aufgabe liegt natürlich auch darin, uns um den Verstorbenen zu kümmern. Wir holen ihn dort ab wo er gestorben ist, waschen ihn, pflegen ihn, ziehen ihn mit seiner eigenen Kleidung an – machen ihn schön. So bekommt er seine letzte Würde zurück und seine Angehörigen können sich besser von ihm verabschieden. Außerdem kümmern wir uns um alle Formalitäten. Dazu gehört viel Behördliches, wie die Abmeldung bei sämtlichen Versicherungen und wenn gewünscht und ich die Zugänge habe, auch von sozialen Netzwerken.
Das ist noch ein sehr seltenes Thema bei uns, was aber auch daran liegt, dass die betroffene Generation eher wenig im Web unterwegs ist. Viele Bestatter bieten das aber schon über ihre Website an, man kann sich dort einloggen und dann sämtliche Abmeldungen per Mausklick erledigen. Ein interessanter Punkt zu diesem Thema ist auch der Zugriff aufs Handy. Gerade wenn eine Person plötzlich verstirbt, haben die Angehörigen oft keine Möglichkeit, auf die Fotos oder Kontakte auf dem Handy des Verstorbenen zuzugreifen. Deshalb empfiehlt es sich, das Handypasswort irgendwo zu hinterlegen.
Es gibt immer mehr junge Bestatterinnen und Bestatter in der Branche – überall in Deutschland. Das ist motivierend und cool. Ich finde: Traditionen sind ein Kann und kein Muss und der Abschied sollte bewusst im eigenen Stil gestaltet werden. Wenn es zum Verstorbenen passt, kann auch bunte Kleidung, Musik und zum Abschluss der Glühwein dazugehören. Mir ist auch das Thema Nachhaltigkeit wichtig, da geben wir unseren Kunden bewusste Denkanstöße – Nylonstrümpfe bleiben zum Beispiel für immer unter der Erde, nach 30 Jahren findet man sie beim Ausbuddeln wieder. Genau das Gleiche mit Polyesterklamotten oder Vereinsorden, die den Verstorbenen mit in den Sarg gegeben werden. Das war bisher immer so, aber ich glaube es ist nicht falsch, zu einem Umdenken anzuregen. Den Friedhof der Zukunft stelle ich mir wie einen Park vor. Mit Sitzmöglichkeiten, ganz vielen Blumen und hier und da gibt es Stelen, auf denen die Namen der Verstorbenen stehen. Dort kann man dann eine schöne Zeit verbringen, sozusagen ein Ort des Lebens. Empfehlung der Autorin: Über verschiedene Bestattungsarten und deren Nachhaltigkeitsaspekt hat meine Kollegin Maresa einen interessanten Artikel geschrieben.
Darauf haben natürlich viele Faktoren Einfluss. Die Trauerrede, der Pastor, die Location…Aber an eine Beerdigung erinnere ich mich: Es war an einem Morgen, die Sonne schien durch die Bäume und ich habe mich mit der Trauergemeinschaft am Urnengrab getroffen. Dort habe ich jedem eine kleine Wäscheklammer in die Hand gedrückt, auf die die Trauernden ihren Namen schreiben sollten. Die Wäscheklammern wurden dann von jedem Trauergast beim Abschied an einen Weidenrutenkranz gesteckt, der um die Urne gelegt war. Das war etwas ganz Persönliches. Auch der Redner hat total gut zusammengefasst, wer dieser Mensch war, sodass ich selbst das Gefühl hatte, ihn zu kennen. Allgemein kann ich sagen, eine Beerdigung ist schön, wenn persönliche Elemente einfließen.
Natürlich habe auch ich Angst vor dem Tod. Mein Job führt mir jedoch vor Augen, wie schnell etwas vorbei sein kann. Das Leben ändert sich durch den Tod einer angehörigen oder befreundeten Person komplett. Ich erlebe Sachen bewusster und achte darauf, Erlebnisse zu schaffen. Sei es in den Urlaub zu fahren oder sich selbst persönliche Wünsche zu erfüllen, das sollte man nicht so sehr aufschieben. Und was ich den Menschen ans Herz lege? Nehmt eure eigene Angst vor dem Tod ein wenig in Angriff, besonders wenn ihr gerade nicht in Trauer seid. Beschäftigt euch mit dem Thema – es bringt keinen um!